ALV Mainz e.V.

 

Meine erste Langdistanz - Oder wie ich einmal vor Jan Frodeno ins Ziel kam

Schon als ich mich vor drei Jahren für die Langdistanz in Roth 2020 angemeldet habe, war ich mir nicht sicher, warum eigentlich. Diese Zweifel sollten bis zuletzt bleiben. Aber jetzt hatte ich den Startplatz und wollte das Ding durchziehen. Zwei Corona-Jahre später war es endlich so weit. Die Vorbereitungen liefen gut. Meinen jährlichen Besuch in der Notaufnahme hatte ich bereits Anfang Dezember hinter mich gebracht. Beim Sturz von meiner Wendeltreppe war ich mit dem Rücken auf eine Stufe geknallt und hatte mir zwei Rippen gebrochen. Also erstmal Sportpause, aber drei Wochen später saß ich auf Lanzarote wieder auf dem Rad, schwimmen ging auch okay, nur das Laufen musste noch ein bisschen warten. Danach blieb ich verletzungsfrei, infektfrei und auch Corona konnte ich bis zuletzt abwehren.
Ich verbrachte deutlich mehr Zeit als bisher im Schwimmbad und wurde regelrecht zur Wasserratte, was sich in deutlich schnelleren Zeiten niederschlug. Ich fuhr wie immer viel Rad und entdeckte mein Können an steilen Anstiegen. Während einer Trainingswoche auf Mallorca wurde ich endgültig zur Bergziege. Beim Radrennen Eschborn - Frankfurt konnte mich der Mammolshainer Stich nicht ausbremsen und auch die > 1.000 Höhenmeter der Mitteldistanz im Kraichgau nahm ich erstaunlich leicht. Nur das Laufen wollte nicht zu meinem neuem Liebling werden. Zu groß die Angst vor Überlastung und Schmerzen. Dazu die Auszeit durch den Rippenbruch. Mit weniger Kilometern in den Beinen als vermutlich sinnvoll stand ich also in Roth an der Startlinie. Ich wusste aber, ich schaffe das. Das war ein gutes Gefühl.

Der längste Tag
3. Juli 2022, 4:10 Uhr. Ich bin ausgeschlafen, unglaublich. Sieben Stunden und die auch noch erholsam. Wahrscheinlich konnte mein Körper nach der inneren Anspannung der letzten Tage und Wochen nicht mehr und holte sich ein bisschen Ruhe.
Vor dem Startschuss dann in mir auch die totale Ruhe. Weniger Aufregung als bei manch kurzem Rennen. Ich bin schon in meinem eigenen Film und nehme die Menschenmassen am Kanal von Hilpoltstein gar nicht richtig wahr. Ich komme schnell in meinen Rhythmus und pflüge durchs Wasser, fühle mich aber nicht so kraftvoll wie sonst. 1:13 h ist dann aber eine Zeit, mit der ich sehr zufrieden bin. Der Wechsel klappt gut und ich mache mich auf die Radstrecke. Gut, dass wir sie am Tag vorher mit dem Auto abgefahren sind. So weiß ich, was mich erwartet und kann vorausschauend und kräftesparend fahren.
Ungefähr bei Kilometer 30 dann starkes Ziehen im Unterleib und im Rücken: meine Periode setzt ein. Sie war schon mehrere Tage überfällig, ausgerechnet jetzt geht es los. Der einzige Tag im Monat, an dem ich ohne Schmerzmittel nicht mal arbeiten kann. An Sport ist normalerweise überhaupt nicht zu denken. Fluchend und mit mir selbst verhandelnd über Aufgeben oder Weitermachen fahre ich das erste Mal den Solarer Berg hoch und kann es null genießen. Habe eher Angst, dass mich jemand vom Rad holt. Oben muss ich dann einen Toilettenstopp einlegen, mein Kreislauf kippt weg. So sehe ich aber wenigstens noch Jan Frodeno auf seiner zweiten Radrunde vorbeifliegen. Ich berappele mich und werde kurz vor Ende der ersten Radrunde von meiner Support-Crew angefeuert. Eva, Julia, Johanna und Jochen stehen an der Steigung in Hilpoltstein. Zuhause fiebern die Fans virtuell mit. Jochen versorgt sie mit Details. Dann geht es auf die zweiten 90 Kilometer. Ich nehme etwas Tempo raus. Auflieger geht kaum noch, die Schmerzen im Rücken sind zu stark. Aber ich fahre gleichmäßig und die verbleibenden Kilometer schwinden. Nach 6:09 h komme ich in die Wechselzone. Am gewünschten 30er-Schnitt vorbei. Aber unter den Umständen und den 1.500 Höhenmetern (statt angegebenen 1.200) immer noch eine super Zeit. Der Wechsel langsam, wieder Toilette. Die Mädels jubeln mich auf die Laufstrecke.
Auf den ersten 10 bis 12 Kilometern bin ich zwar langsamer unterwegs als geplant, aber ich laufe beständig und überhole schon die ersten Geher. Am Kanal gibt es immer wieder auch etwas Schatten, doch die Sonne brennt oft unerbittlich auf den Kopf. Ich esse Salztabletten und würge ein Gel runter. Dann gehe ich das erste Mal. Immer wieder Unterleibskrämpfe und die Hitze macht mir schwer zu schaffen. Ich steige auf Cola um und versuche den Körper zu kühlen. Und mache einfach weiter. Denn mein Hauptgedanke ist: Wenn ich aufhöre, muss ich das Ganze ja nochmal machen. Erst Richtung Ende kann ich wieder Tempo aufnehmen und als Büchenbach geschafft ist, will ich nur noch ins Ziel und diesen Tag hinter mich bringen. Vor dem Stadion setze ich ein Lächeln auf und laufe die Runde über den grünen Teppich. Hinter der Ziellinie stehe ich verloren herum, einfach nur froh, dass es vorbei ist. Kein Hochgefühl, keine Tränen, kein Jubel, einfach nur: Haken dran. Der Marathon in lahmen 5:10 h. Mit einer Gesamtzeit von 12:45 h bin ich am Ende gar nicht so weit von meiner realistisch geschätzten Zielzeit von 12:30 h weg. Ein bisschen Spaß hätte ich mir aber schon gewünscht. Und ich bin schneller als Jan Frodeno. Der hatte ja bekanntlich schon nach zwei Laufkilometern keine Lust mehr ;)

Während ich erschlagen im Athletes Garden sitze und Schokomilch trinke und Eis esse, holt Jochen schon mein Fahrrad ab. Ohne ihn hätte das Rennen vermutlich noch länger gedauert. An allen möglichen Stellen an der Laufstrecke tauchte er auf, motivierte mich (Von "Du bist schneller als die meisten, heute ist hier Wandertag" über "Nicht stehen bleiben, dann geh wenigstens!" zu "Noch zwei Cola, hopp!"). Tausend Mal Danke dafür! Er war auch derjenige, der trocken fragte: "Bist du besoffen?", als ich kurz mit dem Gedanken spielte, im September noch eine Langdistanz zu machen, um ein besseres Ergebnis zu erreichen. Von diesem Plan habe ich schnell wieder Abstand genommen. Ende Oktober geht es in die USA zur WM auf der Mitteldistanz. Dafür steht noch genug Training auf dem Programm. Und Spaß habe ich an dieser Distanz definitiv mehr.

Judith

Für alle Zahlenjunkies:
Ich bin von 1.11.21 bis 1.7.22
190 km geschwommen
5.250 km Rad gefahren mit 41.000 HM
830 km gelaufen
Und habe 43,5 h Yoga gemacht

Infos